Plötzlich im Museum

29. August 2025: Sich selbst überraschend begegnen. Wenn Vergangenheit auf einmal in die Gegenwart schwappt, das finde ich derzeit ein aufregendes Erlebnis. Plötzlich „erscheint“ diese vergangene Zeit als säße sie direkt neben mir und hätte nur darauf gewartet, dass sie angesprochen wird. In den kommenden Tagen gibt es die Geschichte dazu.

5. September 2025: Kurz mal in eine andere Zeit springen. Eine Freundin schrieb mir: „Lange haben wir nichts gehört voneinander. Und gestern erschienst Du mir: Ich war in der Ausstellung „Strange“ in der Sammlung Scharf-Gerstenberg. Und fand ein Bild, „Fräulein Krupicka“, Überraschung gelungen.“

In der Nacht lag ich lange wach. Die Jahre um 1985, in denen ich in der Hochschule für Grafik- und Buchkunst Leipzig (übrigens die legendäre Leipziger Malerschule) als Sachbearbeiterin angestellt war, erwachten und brachten mir unendlich viele innere Bilder. Und vorneweg die aus den beliebten Faschingsfeten in der Hochschule. Es war im Stundenplan eingeschrieben, dass die Studenten das Gebäude für den Fasching verändern sollten. Eine Woche lang wurde gemalt und die Räume nach allen Regeln der Illusionskunst verkleidet. Das Ergebnis war immer beeindruckend. Ich habe mehrmals erlebt, dass ich während des Festes nicht genau wusste, in welchem Raum ich gerade war. Besonders die Gänge veränderten sich, indem sie geteilt wurden und woanders hinführten als üblich. Unmengen von Packpapier dienten als Maluntergrund und Wandverkleidung. Jeder Raum war etwas besonderes. perfekte Illusionen von absurden und abstrakten Räumen entstanden – die Kostüme oft ebenso. Ich weiß nicht mehr genau, ob die Ateliers geöffnet waren – ich denke nicht – aber die Hochschule war natürlich in einem besonderen Gebäude ansässig, in welchem es Säulengänge mit Rundbögen gab und einen Lichthof, viele Werkstätten, einen ausgebauten Keller und etliche Nebengelasse. Auf dem Lichthof fand zu jedem Fasching ein Programm statt. Jahrelang trat dort der Kabarettist Wolfgang Krause mit seinem „Kabasurdem Abarett“ auf, während seines Studiums an der Hochschule und auch später…

Ob absurd, oder anders („strange“) , das waren – auch wir selbst: Oft der Zeit entrückt, herausgenommen aus der Wirklichkeit für einige Stunden, in den Ateliers, beim Feiern, oder einfach bei der (künstlerischen) Arbeit.

Das sind Bilder von der „weißen Fete“ aus dem Jahr 1984. Mich seht ihr im Alter von 24 Jahren auf dem ersten Foto. Ich habe, wie viele andere in den 80er Jahren in der DDR, meine Sachen oft selbst genäht – ihr kennt ja den Spruch: „Wir hatten ja nüscht“. Dafür aber entstand „selbstgeschneidertes Leben“ in vielerlei Hinsicht. Mein Outfit bei der „weißen Fete“ bestand aus einem Nachthemd und einer Gardine. Nun, das ist natürlich nicht zu sehen. Diese Baumwollnachthemden aus Großmutters Zeiten waren sehr beliebt als Grundstock für weitere Kleidung. Man konnte sie gut färben, sie waren sehr gut genäht und hatten oft Baumwollspitze im oberen Trägerbereich. Ich nutzte die breite Bordüre einer Gardine und nähte sie in mühevoller Stepparbeit unten an das Nachthemd – wenn ihr genauer hinschaut: die Gardine hatte solche Wellen und musste genauso auf das Nachthemd genäht werden. Für die Stola verwendete ich den Rest der Gardinenbordüre. Bei mir zuhause hing ebenfalls ein Stück davon – grau gefärbt – vor dunkelgrün gestrichenen Fenstern und gelben Wänden… ja, sehr interessant.

Fantasievoll war auch das Buffet der „weißen Fete“. Viele Lebensmittel haben eine helle Seite… Eier verkehrtherum, Schmalz, Camembert… die Salami mit weißer Umrandung war eine Delikatesse und musste sonst woher besorgt werden. Was nicht die entsprechende Farbe von Natur aus hatte, wurde einfach mit Papier umwickelt, wie das Kaviarbrot auf dem Tisch.

Ich erinnere nicht, ob es auf dieser Fete war, dass mich der Maler Professor Volker Stelzmann ansprach, ob ich ihm Modell stehen würde, immerhin steht er bereits in der Tür auf dem Foto. Es kann so gewesen sein, auf jeden Fall war er ein sehr ruhiger Mensch, ein Beobachter und ich glaube, er fand Menschen interessant und malte sie gern. Jedoch muss ich jetzt schon schmunzeln… Warum? Als ich das Bild im fast fertigen Zustand gemalt sah – vor vierzig Jahren – hatte ich nicht das Gefühl, dass es auf keinen Fall den Eindrücken auf „der weißen Fete“ entsprungen sein konnte. Ich “ fremdelte“ mit der Person auf dem Gemälde und suchte freundlich nach Worten, um es zu loben. Vielleicht war es anderen Betrachtenden auch „fremd“ oder sogar „strange“ – obwohl das letztere Wort kaum im DDR-Wortschatz vorkam, auf jeden Fall sprach mich die Sekretärin der Hochschulleitung – also von Prof. Heisig – einmal an und sagte, dass sie schon verstehen kann, warum Prof. Stelzmann es genauso gemalt hatte. Was ich im Rückblick interessant finde ist, dass dir trotzdem keine Worte fand was sie „verstanden“ hatte. Ich vermutete, es lag daran, dass ich manchmal ein leicht unsymmetrisches Gesicht hatte, in Stresszeiten, wenn es mir nicht gut ging, oder wenn ich sehr überlastet war. Aber möglicherweise fehlten auch einfach die Worte, damals, als „Fräulein Krupicka“ nämlich noch in jener Welt lebte, die Professor Stelzmann recht dunkel wiedergegeben hatte.

24. September 2025: In Kürze stelle ich mich meinem früheren Selbst und gehe in die Ausstellung „Strange“ in Berlin, in der Sammlung Schar-Gerstenberg in der Schloßstraße 70. Dort hängt „Fräulein Krupicka“.

Mein Plan ist weiterhin, etwas später meine Tochter mitnehmen, meinen Sohn, Freundinnen…bin gespannt, was sie dazu sagen. Aber zunächst gehe ich allein.


27. September 2025: Noch mehr „versunkene Malerei“ taucht wieder auf. Bei einem Umzug gibt es so mancherlei Vergangenheitsschichten abzutragen, ob diese neu einsortiert werden, oder auf dem Müll landen sollten, das ist manchmal schwer einzuschätzen. Eigentlich war geplant, dass dieses Bild weiter unten nicht mehr in meine neue Wohnung mitkommt. Allerdings scannt ab jetzt mein Hipposcampus alles, was ich in Kisten packe mit dem Filter der 1980er Jahre. Mit Erfolg, denn er hat in diesem Motiv eine enge Verbindung zu meiner Leipziger Zeit erkannt. Kurz bevor ich an der Leipziger Malerschule als Sachbearbeiterin die Studenten-Wohnungen verwaltete (etwa 1984), malte, schrieb und fotografierte ich in meiner Freizeit. In einem Fotoalbum auf dem Dachboden meines damaligen Wohnhauses fand ich Fotos von einer jungen Frau, die mich sehr imponierte und inspirierte. Ich malte sie im Scheinwerferlicht auf einer Bühne mit rotem Vorhang, weil ich selbst unbedingt zum Theater wollte, egal als was. Ich liebte, wie sie ohne Selbstzweifel dastand. Das Bild wurde für mich zu einer persönlichen Vision.

Wenig später saß ich Professor Stelzmann Modell. In der Regel ging ich dazu in seinem Atelier in der Hochschule, ich erhielt von ihm einen Stundenlohn dafür. Meistens saß ich in der Hochschule in seinem Atelier Modell, nicht lange, vielleicht eine oder zwei Stunden und etwa nur vier bis fünf Mal. Ich muss gestehen, dass das damals für mich eher der wichtigste Aspekt an der ganzen Sache war. Ich arbeitete halbtags, damit ich die andere Hälfte des Tages am „Poetischen Theater“ der Universität (ehrenamtlich) mitarbeiten konnte, denn ich wollte unbedingt zum Theater. Das Amateurtheater war nicht unbekannt. Es hatte legendäre Inszenierungen im Portfolio, war stets gut besucht. Ich arbeitete an laufenden Inszenierungen mit, spielte mit, war Regieassistentin und – gestaltete eine Ausstellung zum 25. Jahrestages des Poetischen Theaters. (Dazu tauchen hoffentlich bald noch die Fotos auf.)

Als das Bild fertig war, lud Prof. Stelzmann mich zu sich nach Hause ein und wir tranken Tee. Er wohnte sogar in meiner Nähe, am Völkerschlachtdenkmal Leipzig. Seine Wohnung ist mir noch in Erinnerung, sie hatte sehr schöne Holzverkleidung und Fischgrätenparkett und ich denke, wie saßen in einer Art Wintergarten. Er machte mir Mut zu meinem Lebensentwurf. Er meinte ungefähr, dass er sich sicher sei, dass ich es an das Theater schaffen werde, einfach nur, weil ich es sosehr wollte. Tatsächlich war ich ein Jahr später, 1985, am Schweriner Theater angelangt. Vom Bild, welches Professor Stelzmann von mir gemalt hatte, war ich etwas enttäuscht, aber nur etwas, denn ich gestand ihm zu, dass er ein Künstler und guter Beobachter war und ich mich selbst sicherlich ganz anders sah, als er mich… So ist das mit den Bildnissen von sich selbst… deshalb hier noch ein Foto, welches ich ebenfalls im Jahr 1984 auf der Suche nach mir selbst fotografiert hatte.

12. Oktober 2025: Ja, ich weiß, geneigte Leser:innen, ihr fragt euch mittlerweile, wann geht sie endlich los und schaut sich das Gemälde an. Gemach, gemach. Keine Autorin verpulvert das Ende ihres Romanes zu Beginn. Schließlich gibt es noch jede Menge zu erzählen. Vielleicht möchtet ihr wissen, was eine Sachbearbeiterin an der Leipziger Malerschule so alles zutun hatte. Und da fallen mir schon wieder viele Erlebnisse ein… wie ich auf der Suche war nach Wohnungen war, die leer standen und Kontakte knüpfte zu dem Mitarbeitern der kommunalen Wohnungsverwaltung und dort die Wohnungen meldete und tatsächlich für die Hochschule mehrere Studentenwohnungen erhielt. Die Studenten konnten schließlich nicht im Lößnitzer Studentenwohnheim draußen vor der Stadt wohnen, mussten sie doch zu Hause malen, fotografieren, Fotos entwickeln, Grafiken anfertigen… Anbei erhaltet ihr einen Eindruck von Leipziger Häusern zur damaligen Zeit – zugegeben ist das folgende ein Abrisshaus, aber anscheinend noch bewohnt. Die Fotografin Christiane Eisler studierte damals auch an der Hochschule. Sie spezialisierte sich eine zeit lang auf Punkerfotos. Das ist eines von ihr.

Damals konnte auch ein heute sehr berühmter Maler von meiner damaligen Arbeit profitieren. Neo Rauch. Er hat mich viel später darauf mal bei einer Ausstellung von ihm angesprochen, denn ich hatte es schon vergessen, dass ich ihm ebenfalls eine Wohnung besorgte. Es machte mir richtig Spaß, den Studenten zu helfen, wir waren oft im selben Alter und ich an Kunst sehr interessiert. Ein Teil meiner Halbtagsstelle war mit der Organisation der Fernstudenten Fotografie ausgeschrieben. So kamen bei mir die Einsendungen für die Bewerbung dieses Fernstudiums an und ich sah mir sehr gern die Fotos an.

Manchmal war ich in den Ateliers. Es konnte passieren, dass dort Judy Lypke im Atelier Modell saß. Judy (Gerd Harry Lypke) – einer der bekanntesten Galeristen Deutschlands – wohnte in Leipzig. In seiner Wohnung hatte er eine Art Privatgalerie etabliert. Dort stellten sogar Maler aus, die bereits bekannt waren, aber aufgrund ihrer Themen oder nicht genehmen politischen Haltungen keine Ausstellungen erhielten. Judy hatte etwas später eine Galerie „Eigenart“ in Leipzig in einem Ladengeschäft – nur wenige wissen, dass sie 1989 von einige Stasi-Mitarbeitern „gestürmt“ wurde. Heute hat er mehrere Galerien, eine davon in der Auguststraße in Berlin, die ebenfalls den Namen „Eigenart“ trägt.

15. Oktober 2025, Sich selbst begegnen. Das wird ein besonderer Moment für mich sein. Ich bin voller Spannung auf dem Weg zu der Ausstellung „Strange“. Wie groß ist es eigentlich? Als ich das Bild zum letzten Mal sah, war es mir sogar fremd. Wie wirkt es in der Ausstellung? Hängt es im letzten Teil, irgendwo in einer Ecke, oder sogar an gut sichtbarer Stelle? Welche Wirkung wird es auf mich haben? Wird es überhaupt von anderen Besuchern bemerkt? Die letzte Frage kann ich mir gleich im Bus zur Schloßstraße selbst beantworten: Natürlich ist es bemerkt worden, sonst hätte die Freundin, die mich darauf aufmerksam gemacht hat, mir keine Nachricht schicken können. Aufgeregt löse ich eine Eintrittskarte. Am liebsten würde ich laut herausposaunen, warum ich hier in der Sammlung Scharf-Gerstenberg bin. Ich zwinge mich langsam zu gehen und auch die anderen Gemälde zu würdigen. Ein schwieriges Unterfangen. Da ist das erste Volker Stelzmann-Gemälde, welches ich schon damals in der VIII. Kunstausstellung in Dresden gesehen hatte. Diese berühmte Ausstellung, heiß diskutiert, die jede Menge Menschen zu einem Besuch veranlasst hatte. Es heißt „Der Bunker“. Ich vermute, ich habe dieselben Gedankengänge darüber wie damals… aber das soll mich jetzt nicht ablenken. Ich drehe mich um. Dort ist das Bild vom Plakat der Ausstellung „Strange“ und daneben… das kann doch nicht wahr sein, daneben hänge ich. So wunderbar platziert. Neben dem Hingucker der gesamten Ausstellung. Ich laufe direkt auf mich zu und schaue mir ins Gesicht, bleibe bei den Augen. Sie wirken müde und abgekämpft. Sie schauen skeptisch und etwas desillusioniert. Der Mund verschlossen, der Kopf geneigt. Ein Ohrring schmückt sie, wie das Mädchen mit dem Perlenohrring, aber es ist nichts auffälliges an ihr: kein Tuch, keine besondere Kleidung. Ich kenne sie. Ich weiß, was sie damals bereits erlebt hatte. Schwierige Zeiten für sie.

Auf der Webseite der Staatlichen Museen zu Berlin könnt ihr folgendes lesen: „Bei der Dargestellten könnte es sich um die 1960 in Ost-Berlin geborene Literaturvermittlerin und Lyrikern Sylvia Krupicka handeln, die Anfang der 1980er-Jahre einige Zeit als Sachbearbeiterin an der HGB tätig war. In der Architektur des Hintergrundes könnten sich dementsprechend die klassizistischen Bauformen der Leipziger Kunsthochschule andeuten, an der Maler und Gemalte damals arbeiteten.“

Unter diesem Link gibt es den gesamten Text zu dem Gemälde „Fräulein Krupicka“: https://recherche.smb.museum/detail/961707/fr%C3%A4ulein-krupicka?language=de&limit=15&sort=relevance&controls=none&conditions=AND%2Btitles%2B%22Sammlungstitel%3A+Fr%C3%A4ulein+Krupicka%22&objIdx=0

Ich habe mich ziemlich lange in der Ausstellung aufgehalten und beschlossen, mich öfter wieder besuchen zu kommen. Ich habe es liebgewonnen und besonders die junge Frau, die ich damals war. Ich kann sie so gut verstehen und nehme sie oft in Gedanken in die Arme, hat sie sich doch das „erkämpft“, was sie immer wollte. Und das kann ich jetzt, als 65jährige Frau mit alle den Erfahrungen, Erlebnissen, künstlerischen Ambitionen und tatsächlich verwirklichten künstlerischen Umsetzungen wohl am besten einschätzen. Immer war die Beschäftigung mit Kunst oder künstlerischen Tätigkeiten ihr ein Lebenselixier gewesen. Und das hat die junge Dame sich trotz eines recht frühen extremen Sturzes im Berufsleben immer wieder errungen. Chapeau!

19. Oktober 2025 Sehr seltsam! So nannte sich die öffentliche Führung, die für die Ausstellung „Strange“ angeboten wurde und natürlich besuchte ich das Museum gleich noch einmal. Eigentlich wollte ich der Einladung der Kuratorin der Ausstellung, Frau Dr. Zacharias folgen, die mich bat, sie anrufen zu lassen, wenn ich da bin, damit sie mich begrüßen könnte, aber sie hatte gerade in der Woche eine private Auszeit und war nicht da. Dadurch erfuhr aber die Ticketverkäuferin wer ich bin und warum ich in die Ausstellung gekommen war und nachdem sie es erfahren hatte, erfuhr es wenig später die Frau, die die Führung machte und so nahm es seinen Lauf, dass ich vor meinem Bildnis von ihr gebeten wurde, doch mal kurz die Führung zu übernehmen. Es waren zwar nur fünf Frauen dabei – also wir wissen ja, dass Frauen die eigentlichen Kulturträgerinnen sind, nur dass sie meist dafür geben müssen und kaum was verdienen, wenn sie selbst Kunst und Kultur produzieren – jedenfalls sah ich in fünf erstaunte Gesichter, als ich eröffnete, dass ich zwar nicht mehr als „Fräulein“ angesprochen werde, aber durchaus mit „Krupicka“. Und dann erzählte ich kurz, was ihr schon wisst darüber, wie das Gemälde entstanden ist und durch wen. Überhaupt war diese kleine Gruppe äußerst diskussionsfreudig und so kam es, dass sie jede Menge zu sagen und zu fragen hatten: Sie entdeckten den erschöpften Blick und Ähnlichkeit und waren überhaupt begeistert. Ich aber wollte von der Spezialistin, die uns viele Informationen auch zu anderen Gemälden gegeben hatte, wissen, warum dieses Porträt dem Surrealismus zugeordnet worden war. Zunächst beschrieb sie, das Surrealisten ja den Anspruch hatten „die richtige Welt“ mit ihren Verschiebungen und Verwerfungen zu zeigen. Der dunkle Hintergrund zeigt in welcher Gegenwart sich die junge Frau aufhält. Wer noch die Parolen im Ohr hat, dass die Jugend natürlich immer in die aufgehende Sonne strebte und ein Ziel vor den Augen hatte, der versteht sehr gut, die hier zu sehende Diskrepanz zwischen einer erschöpften jungen Frau und der Vorstellung, wie eine junge Frau im Sozialismus in der DDR 1981 zu sein hatte. Es gibt nur ein klitzekleines Fenster oben rechts – welches auch noch hinter ihr ist – was hell ist und einen Ausgang oder Ausblick zeigen könnte. Sie steht schief. Besonders betonte die Spezialistin die Hände – so verankert sich diese junge Frau auf dem Bild mit sich selber, hält sich fest. Eine Dame der fünf Besucherinnen brachte die interessante Beobachtung ein, dass allein der schmale Ohrring die einzig gerade Linie darstellt, die zur Erde zeigt. Das fand ich äußerst interessant.

7. Oktober 2025, Ein besonderer Anruf. Nachdem ich von dem Gemälde erfahren hatte, recherchierte ich gleich nach Prof. Stelzmann und entdeckte, dass er eine Webseite hat und eine Mailadresse. So schrieb ich ihm eine freundliche Mail und dass ich mir sehr darüber freute, dass nach vierzig Jahren nun das Gemälde doch noch einmal zu sehen war. Und dass ich gedacht hätte, dass es übermalt worden sei, weil ich es nie wieder gesehen oder davon gehört hatte. (Beiseite: Es ist doch interessant, dass ich dachte, es sei übermalt worden, ich frage mich warum? Kann es sein, dass ich all die Jahre dachte, es wäre einfach nicht wert gewesen, es zu erhalten? Natürlich habe ich das nicht Prof. Stelzmann gefragt oder geschrieben…) Im Anhang sendete ich ihm noch das Foto mit ihm selber in der Tür auf der weißen Fete, siehe oben und ein Foto mit mir und dem Gemälde jetzt in der Ausstellung „Strange“.

Dann kam ein Anruf. Nachdem wir beide mehrmals „Hallo“ und „Wer ist da?“ abwechselnd in das Telefon gerufen hatten, meldete er sich: Prof. Stelzmann und bedankte sich für die digitale Post, die ich ihm gesendet hatte. Ich freute mich sehr, dass ich ihn nach so langer Zeit sprechen konnte. Zu dumm nur, dass ich gerade in einem wichtigen anderen Gespräch war. Eigentlich wollte ich ihm noch einige Fragen stellen, zum Beispiel, warum er mich ausgesucht hatte als Modell. So dachte ich, wir könnten uns ein paar Tage später noch einmal telefonisch erreichen. Er meinte, ich könnte es ja mal versuchen… es ist mir noch nicht gelungen. Was ich daraus gelernt habe… Nutze den Moment, er ist so schnell vorbei und kommt nicht wieder…

15. Oktober 2025. Ein Grund zu feiern! Heute habe ich etwas ganz besonderes vor: Ich feiere meinen Geburtstag mit meinen Gästen in der Ausstellung „Strange“, die ja morgen nur noch einen Tag geöffnet hat. Dazu habe ich die Führung „Sehr seltsam“ gebucht und im Anschluss daran gehen wir gemeinsam nebenan in ein Restaurant. Ich bin sooo gespannt, was meine Freundinnen wohl sagen, wenn sie vor dem Bild stehen. Freue mich schon.

16. Oktober 2025. Kunst und Miteinander. Kaum war die Gästerunde eingetroffen, ging es los.