Rezension von Marc Lippuner in „Mein Viertel“ Stadtmagazin Berlin, Herbstausgabe 2024

Grenzüberschreitungen
Ostberlin vor 50 Jahren. Die 13-jährige Simone wächst
in einem tristen Plattenbau nahe des Mauerstreifens
auf. Das Verhältnis zu den Eltern ist angespannt, ihr
Alltag ist durch Regeln und Pflichten fremdbestimmt,
auf ihre Bedürfnisse wird wenig Rücksicht genommen.
Die aufkeimende Liebe zu einem einige Jahre älteren,
rebellischen Jungen aus der Nachbarschaft wird von
der Mutter und dem langen Arm der Staatsmacht umgehend
erstickt. Unangenehme Gedanken und „beschissene
Gefühle“ konserviert Simone in imaginierten
Gläsern, die sich in ihrem Fantasiekeller stapeln wie
eingewecktes Kompott, das nie gegessen werden will.
Gegen den Versuch dieser inneren Emigration rebelliert
Simones Körper schließlich und ein unverarbeitetes
Trauma bricht sich sichtbar Bahn. – Einfühlsam, aber
kraftvoll beschreibt Sylvia Krupicka die brodelnde Gefühlswelt
ihrer Protagonistin, die sinnbildlich steht für
eine Gesellschaft, die von Kontrolle und Konformität
geprägt war – eine Gesellschaft, die selbst keine
Grenzen überschreiten durfte, während ihre eigenen
Grenzen ständig überschritten wurden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert